Irgendwo bin ich ja auch so ein kabelloses Opfer. Verhedderte Kopfhörerkabel stundenlang auseinander zu wickeln war noch nie ein Highlight. Und ausserdem ist es generell einfach bequemer, wenn beim Laufen nicht so ein Kabel an einem herumbaumelt und an den Ohrstöplseln zieht. Da so ein Kabel auch gern mal die entscheidenden paar Zentimeter zu kurz ist, wenn der DAP oder das Handy in der Hosentasche liegt.
Die Freiheit vom Kabel hat mich schon beim Bose QC35 ziemlich glücklich gestimmt. Und kabellose In-Ears sind dann noch mal ein Stück weiter. Keine dicken Muscheln auf den Ohren und ich kann, wenn es kalt ich eine Mütze tragen. Ist mit Over-Eears nicht so der Knaller. Hab’s probiert. Aber wie man es dreht oder wendet, es will nie so richtig passen.
Ich war hin- und hergerissen zwischen den Sony In-Ear ANC Stöpseln, die mit einem für Sony typischen unaussprechlichen Namen gestraft sind und den noch nicht vorgestellten Bose Noise Cancelling Earbuds 700. Ich habe gute Erfahrungen mit dem Bose ANC (=Active Noise Cancelling) gemacht. Die bisher besten Erfahrungen, wie sich noch herausstellen sollte. Die Sony WF1000 sind halt recht groß und hängen nur mit Ohrpassstücken im Ohr. Ansonsten kein Halt.
Da kam Apple recht überraschend mit den AirPods Pro daher. BlueTooth und ANC. Kleiner als meine In Ear Monitore und auch noch ohne Kabel aber dafür mit Active Noise Cancelling. Eigentlich zu gut um wahr zu sein. Allerdings auch mit einem handfesten Preis von ca. 280 €.
Naja, drauf geschissen. Wenn sie denn was taugen…
Und nach einer Wochen intensiven Gebrauchs habe ich nun das große Bedürfnis meine Meinung zu den Stöpseln in die Welt hinaus zu schreien.



Fangen wir mit den positiven Eigenschaften an. Keine Sorge, das dauert nicht so lange.
Integration in das Apple Ökosystem: Funktioniert natürlich tadellos. Mit allen Macs und iDingern verbunden. Nahtloser Übergang auf ein anderes Gerät, ohne nervtötende, erneute Kopplungsversuche. Fantastische Integration in iOS und iPadOS mit witzigen kleinen Animationen und ordentlicher Akku Anzeige von Stöpseln und Gehäuse. Es gib sogar einen kleinen Test, der die passive Abschirmung durch die Silikonohrpassstücke misst und mitteilt, wenn’s undicht ist. Hab’s ausprobiert; klappt gut.
Komfort, Größe und Gewicht: Drücken kein Stück, wenn man die passenden Ohrpassstücke benutzt. Man spürt sie kaum.
Akkulaufzeit: In einer Wochen mussten ich das Gehäuse nur ein Mal bewußt laden, weil der Akkustand unter 10 % gefallen ist. Zwischendurch war das Gehäuse immer mal für kurze Zeit am Rechner angeschlossen.


Kommen wir nun zu meinen Spezialgebiet, der Nörgelei:
ANC: Echt jetzt Apple?! Das nennt ihr ANC? 2019? Ich habe nur ein anderes Paar Stöpsel mit ANC, die Bose QC20, sind kabelgebunden und schon ein wenig älter. Daher die Suche nach einer Alternative.
Ich denke, die sind 2013 auf dem Markt gekommen, vor sechs Jahren. An den QC20 stört mich ein leichtes Grundrauschen, das wahrnehmbar ist solange keine Musik läuft. Ab einer moderaten Lautstärke ist es nicht mehr zu hören.
Im direkten Vergleich – normaler Lärm in einem Mietshaus, Straßenlärm, Gespräche im Hintergrund im Büro, ÖPNV – blockt der QC20 deutliche besser besonders was Tiefen und Mitten angeht. Bei hellen oder lauten Stimmen sind beide nicht wirksam genug.
Ehrlich gesagt ist das ANC der AirPods Pro nicht viel besser als die passive Abschirmung eines IEM mit ordentlichen Foam Tips.
Klangqualität: Man hört ja an allen möglichen Stellen, wie gut die „Pros“ im Vergleich zu dem Vorgängermodell von Apple klingen. Die müssen dann aber wirklich unterirdisch gewesen sein.
Bei moderatem Lärmpegel (zu Hause oder im Büro) kann man mit der Qualität leben, wenn man seine Ohne nicht so richtig lieb hat. Nein, Spaß beiseite. Für einen Consumer Kopfhörer wäre es OK. Insgesamt würde ich den Klang als neutral bis verhalten beschreiben. Der Bass ist vorsichtig aber nicht zu dünn, die Höhen sind etwas betonter und der vermitteln mehr Detail bei der Wiedergabe.
Wird das ANC der „Pros“ bspw. vom Bochumer ÖPNV mit seinen quietschenden und knatternden Straßenbahnen stark gefordert, wird der Klang dermassen unangenehm, so dass ich einfach nicht weiter hören möchte. So einen starken Verlusten an Klangqualität ist mir bei anderen ANC Kopfhörern bisher noch nie aufgefallen. Bässe werden einfach nur noch matschig und verlieren jegliche Kontur.
Eigentlich wollte ich die Dinger für den ÖPNV nutzen.
Ansonsten lohnt es sich natürlich nicht zu erwähnen, dass ein kabelgebundener IEM in der gleichen Preisklasse unendlich viel besser klingt. Der Fiio FH5 kostet zum Beispiel ziemlich genau das gleiche und klingt ganz akzeptabel.
Passform: Die Stöpsel sind zwar leicht und man spürt sie kaum im Ohr. Aber sie werden lediglich von den Silikonohrpassstücken im Ohr gehalten. Die Form vieler IEM ist dem Ohr angepasst und bieten damit einen soliden Halt. Das ist bei den AirPods leider nicht der Fall. Auch bei optimaler Auswahl aus den drei (nur drei?! Bei dem Preis?) mitgelieferten Silikonohrpassstücken, muss ich die Stöpsel alle paar Minuten justieren, damit die Abdichtung bestehen bleibt. Sie fallen zwar nicht aus dem Ohr aber dicht bleibt es auch nicht. Und eine intakte Abdichtung ist für das ANC notwendig.
Hier hätte Apple mit einer größeren Auswahl glänzen können und alternativ zu den Silikon Dingern auch welchen aus Memory Foam anbieten können. Denn eine wirklich gute Isolation habe ich bisweilen nur Ohrpassstücken aus Schaumstoff hinbekommen.
seltsamer Geruch: Ohne Scheiss, die „Pros“ riechen sehr penetrant. Gut man steckt sich die Dinge nicht in die Nase, aber dolle ist das trotzdem nicht. Anfangs dachte ich, ich bin nur etwas empfindlich, aber anderen ist das auch aufgefallen.
Es war einen Versuch wert. Insgesamt muss ich sagen, dass der Preis absolut nicht gerechtfertigt ist. Und da ich tendenziell eher unzufrieden bin, wären die AirPods Pro nur ein Lückenfüller bis die Bose Earbuds 700 im kommenden Jahr auf den Markt kommen. Ich denke, die werden die Rückreise antreten.
Man muss wohl wirklich ein hartgesottener und etwas verblendeter Apple Fan sein, wenn man die AirPods Pro für gute Kopfhörer hält. Ich will nicht leugnen, dass der erste Eindruck beim Verbinden mit dem iPhone aufgrund der exzellenten Integration wirklich gut ist. Erst im Laufe der Zeit und beim Vergleich mit anderen In-Ears, fängt die Fassade an zu bröckeln.
Ich habe es wirklich geschafft mich nicht über Apples Verwendung des Begriffs „Pro“ auszulassen…